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25.04.2010

Gesetzesentwurf zur Etablierung von Landesverwaltungsgerichten

Seit mehr als 20 Jahren werden in Österreich intensive Bemühungen unternommen, eine zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit einzuführen. Waren diese anfangs hauptsächlich von föderalistischen und allgemeinen rechtsstaatlichen Motiven geleitet, sind in der Folge die Erfüllung der Anforderungen, die Art. 5, Art. 6 und in jüngster Zeit auch Art. 13 EMRK und das Unionsrecht (vgl. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) an den Verwaltungsrechtsschutz stellen, sowie in den letzten Jahren die dringende Notwendigkeit einer Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes als weitere Ziele hinzugetreten. Einen ersten wichtigen Zwischenschritt stellte die mit der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 685, erfolgte Einführung der unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern dar.

Zuletzt war die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit Gegenstand der Beratungen des Österreich-Konvents und des vom Nationalrat der XXII. Gesetzgebungsperiode gebildeten Besonderen Ausschusses zur Beratung der Ergebnisse des Österreich-Konvents. Entsprechend dem Regierungsprogramm der Bundesregierung für die XXIII. Gesetzgebungsperiode wurde im Bundeskanzleramt eine Expertengruppe für Staats- und Verwaltungsreform eingerichtet, die auf der Grundlage der Arbeiten des Österreich-Konvents und des Besonderen Ausschusses Textvorschläge für eine umfassende Verfassungsreform ausarbeiten sollte. Diese Expertengruppe legte im Juli 2007 den Entwurf einer B-VG-Novelle vor, der ua. die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit beinhaltete (94/ME [XXIII. GP], abgedruckt in JRP 2007, 364 und Holoubek/Lang [Hrsg.], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz [2008] 387). Mit dem Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I Nr. 2/2008, wurde allerdings zunächst nur der die Verfassungsbereinigung betreffende Teil dieses Entwurfes verwirklicht (sowie anstelle des bisherigen unabhängigen Bundesasylsenates ein Asylgerichtshof eingerichtet); zu einer Beschlussfassung über die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist es in der XXIII. GP nicht mehr gekommen.

Auch das Regierungsprogramm der Bundesregierung für die XXIV. Gesetzgebungsperiode sieht im Kapitel „Leistungsfähiger Staat“ die Einführung einer mehrstufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Zweck dieses Vorhabens ist ein Ausbau des Rechtsschutzsystems im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung und eines verstärkten Bürgerservice sowie die Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes. Mit dem Entwurf soll dieses Vorhaben verwirklicht werden.

Grundlage des Entwurfes ist der Entwurf 94/ME (XXIII. GP) der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform. Wo dies zweckmäßig erschien, wurden dabei die Ergebnisse des über diesen Entwurf durchgeführten allgemeinen Begutachtungsverfahrens berücksichtigt. Ferner wurde der Entwurf 94/ME (XXIII. GP) in einzelnen Punkten – insb. unter dem Gesichtspunkt, die den Ländern durch die Einrichtung von Verwaltungsgerichten entstehenden Mehrausgaben so gering wie möglich zu halten – modifiziert. Der Entwurf entspricht damit dem in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ländern“ im ersten Halbjahr 2008 konsentierten Ergebnis.
Die Bestimmungen des B-VG über den Asylgerichtshof werden durch den Entwurf inhaltlich nicht berührt.

Hauptgesichtspunkte des Entwurfes:
1) Der Entwurf sieht die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Danach soll es für jedes Land ein Verwaltungsgericht erster Instanz und für den Bund zwei Verwaltungsgerichte erster Instanz geben („9+2-Modell“). Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern sollen in den Verwaltungsgerichten der Länder aufgehen. Das Verwaltungsgericht des Bundes soll jedenfalls an die Stelle des Bundesvergabeamtes treten, das Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen an die Stelle des unabhängigen Finanzsenates. Die Zuständigkeiten der Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag und der sonstigen weisungsfrei gestellten Organe sollen, soweit sie eine rechtsprechende Tätigkeit ausüben, auf die Verwaltungsgerichte übergehen. Materienspezifischen Besonderheiten außerhalb der Finanzgerichtsbarkeit soll durch die Möglichkeit der Einrichtung von Fachsenaten und der Mitwirkung von fachkundigen Laienrichtern sowie der Erlassung von Sonderverfahrensrecht Rechnung getragen werden können.

 

2) In einer sehr allgemeinen Form kann gesagt werden, dass der administrative Instanzenzug derzeit in der staatlichen Verwaltung bis zum zuständigen obersten Organ des jeweiligen Vollzugsbereiches des Bundes oder des Landes verläuft, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt oder der Instanzenzug durch einfaches Gesetz abgekürzt oder ganz ausgeschlossen ist; solche Regelungen sind zahlreich und können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Für den Instanzenzug in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde und der sonstigen Selbstverwaltungskörper gilt Ähnliches. An sich könnte auch bei Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz der administrative Instanzenzug beibehalten werden. Mit der Schaffung einer zusätzlichen Rechtsmittelinstanz wären jedoch erhebliche finanzielle Mehrausgaben und eine Verlängerung der Verfahrensdauer verbunden. Der Entwurf schlägt daher vor, in der Frage des administrativen Instanzenzuges einen grundsätzlichen Systemwechsel zu vollziehen und diesen mit einer einzigen Ausnahme (diese betrifft die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde) abzuschaffen. Außer in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde soll es also künftig nur noch eine einzige Verwaltungsinstanz geben; jede Verwaltungsbehörde soll also „erste und letzte Instanz“ sein und gegen die von ihr erlassenen Bescheide (bzw. wegen einer Verletzung der Entscheidungspflicht durch sie) soll als einziges Rechtsmittel Beschwerde beim Verwaltungsgericht erhoben werden können. Soweit im Folgenden einschränkend von einer (nur) „grundsätzlichen“ Abschaffung des administrativen Instanzenzuges die Rede ist, wird damit lediglich auf die erwähnte Ausnahme betreffend die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde Bezug genommen; im Übrigen ist diese Abschaffung jedoch eine vollständige und bestehen von ihr keine Ausnahmen (auch nicht hinsichtlich der Ausübung der Diensthoheit nach Art. 21 Abs. 3 B-VG).

3) Die Verwaltungsgerichte erster Instanz sollen grundsätzlich in der Sache selbst entscheiden. Gegen ihre Entscheidung kann Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden, dem allerdings ein weitreichendes Ablehnungsrecht zukommen soll.

Die österreichischen Rechtsanwälte wie im übrigen auch die Notare lehen den Gesetzesentwurf ab, weil dieser trotz ausdrücklicher Erwähnung der standesrechtlichen Selbstverwaltung in der Bundesverfassung auch die Disziplinargerichtsbarkeit für Rechtsanwälte und Notare den Landesverwaltungsgerichten zugewiesen hätte, womit diese in der Sache überfordert wären und außerdem Art 6 EMRK und das darin verbriefte Recht auf den gesetzlichen Richter umgangen würde.

 

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