In der Lehre und Rechtsprechung wird bisher sehr kontrovers diskutiert, ob ein unerwünschtes Kind bzw ein unerwünschtes behindertes Kind einen Schaden im Sinne des österreichischen Schadenersatzrechtes darstellen kann. Bei der Lösung dieser Rechtsfrage spielten bisher jedoch nicht nur rechtliche, sondern auch gesellschaftspolitische Wertvorstellungen eine Rolle.
Bisher unterschied die Rechtsprechung zwischen dem Unterhaltsschaden bei einer unerwünschten Empfängnis („wrongful conception“) eines gesunden Kindes und der unerwünschten Geburt („wrongful birth“) eines behinderten Kindes. Im Fall einer sogenannten „wrongful conception“ wurde die Geburt eines gesunden, wenn auch „unerwünschten“ Kindes nicht als Schaden im Rechtssinn angesehen. Nur dort, wo ganz besondere Umstände hinzukämen, die der typisierten umfassenden Bewertung im Rahmen des familienrechtlichen Verhältnisses nicht entsprechen, könne die schadenersatzrechtliche Ausgleichsfunktion durchdringen. Diese besonderen Umstände wurden vom Obersten Gerichtshof bislang im Fall der Geburt eines behinderten Kindes, aber auch bei der Geburt eines gesunden Kindes, wenn die zusätzliche Unterhaltsbelastung eine „ungewöhnliche und geradezu existenzielle Erschwerung wegen der zu gering verfügbaren Unterhaltsmittel“ zur Folge hätte, gesehen. Im Fall der „wrongful birth“ hat der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass ein Schaden im Rechtssinn vorliegt, dieser aber mit dem Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands begrenzt wäre. Der Oberste Gerichtshof hat daher bei seinen bisherigen Entscheidungen immer auch familienrechtliche Überlegungen einfließen lassen.
Im Anlassfall kam die Tochter der Kläger mit einer schweren Behinderung zur Welt, die der beklagte Arzt im Rahmen der Pränataldiagnostik schuldhaft nicht erkannt hatte. Das Kind litt unter einer sogenannten Amelie. Die gesamte linke obere Extremität fehlte und darüber hinaus ist die gesamte linke Seite des Kindes unzureichend ausgebildet. Bei pflichtgemäßem Vorgehen und Aufklärung des beklagten Arztes hätten sich die Eltern für eine Abtreibung entschieden.
Der Oberste Gerichtshof hat mit der Grundsatzentscheidung 3 Ob 9/23d die bisherige Unterscheidung zwischen „wrongful birth“ und „wrongful conception“ aufgegeben. Der Oberste Gerichtshof führt dazu aus, dass die beiden Fälle nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzrechtes gleich zu behandeln sind, selbst wenn es sich um einen besonders gesellschaftspolitisch besetzten Rechtsbereich handelt. Der Oberste Gerichtshof argumentiert, dass eine sonderrechtliche Lösung dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss.
Es ist daher davon auszugehen, dass im Fall eines nicht gewollten Kindes gerade nicht dessen Geburt (Existenz) für sich allein einen Schaden im Rechtssinn darstellt, sondern der aus seiner Geburt resultierende finanzielle Aufwand, insbesondere der Unterhaltsaufwand. Dieser stellt nämlich einen Schaden im Sinne des Schadenersatzrechtes dar. Diese Grundsätze müssen jedoch gleichermaßen bei jedem nicht erwünschten Kind gelten; also unabhängig davon, ob das Kind gesund oder mit einer Behinderung geboren wird.